Europa: Diskriminierung und unmenschliche Behandlung von Transmenschen

(Medienmitteilung von Amnesty International)

London / Bern, 4. Februar 2014 – Die Rechte von Menschen, die sich nicht dem ihnen bei Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig fühlen (Transmenschen), werden in Europa vielfach missachtet und verletzt. Das dokumentiert Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht. Transmenschen werden zum Beispiel gezwungen, sich teils schwerwiegenden medizinischen Eingriffen und Behandlungen zu unterziehen, bevor sie ihr amtliches Geschlecht und den Namen ändern dürfen.

Titelbild Amnesty-ReportIn der Europäischen Union leben schätzungsweise 1,5 Millionen Transmenschen: Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

In vielen europäischen Ländern erlaubt das Gesetz eine Änderung des amtlichen Geschlechts nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Transmenschen können eine rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität nur dann erhalten, wenn eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde, wenn sie in medizinische Behandlungen einwilligen, die längst nicht alle von ihnen wünschen – etwa Hormontherapien und Operationen, die eine irreversible Sterilisation zur Folge haben -, und wenn sie beweisen, dass sie alleinstehend sind. Dieser Prozess kann Jahre dauern.

«Es ist entwürdigend und unmenschlich, jemanden gegen den eigenen Wunsch zu invasiven, schwerwiegenden Behandlungen zu zwingen, nur weil er oder sie das amtliche Geschlecht ändern will», sagt Stella Jegher, Gender-Fachfrau der Schweizer Sektion von Amnesty International. «Transmenschen haben ohnehin einen schweren Weg voller Hindernisse zu gehen, bis sie ihrer Geschlechtsidentität entsprechend leben können. Dass der Staat sie noch zusätzlich diskriminiert und ihnen Hürden in den Weg stellt, darf nicht sein.»

Der Bericht von Amnesty International «The state decides who I am: lack of legal recognition for transgender people in Europe» hat die Situation von Transmenschen in sieben europäischen Ländern untersucht: Dänemark, Finnland, Frankreich, Norwegen, Belgien, Deutschland und Irland. Während in Irland bisher überhaupt keine Änderung des amtlichen Geschlechts  möglich ist (ein entsprechendes Gesetz ist zurzeit erst in Planung), verletzen die geltenden Verfahren in den anderen Ländern fundamentale Menschenrechte.

Stella Jegher: «Staaten müssen dafür sorgen, dass Transmenschen ihre Geschlechts-identität in einem raschen, transparenten und niederschwelligen Verfahren amtlich anerkennen lassen können. Dabei muss ihr Recht auf Privatsphäre geschützt werden, und es dürfen keine Auflagen gemacht werden, die die Menschenrechte der Betroffenen verletzen. Das Recht auf Privatsphäre muss ebenso geschützt werden, wie das Recht, nicht diskriminiert zu werden.»

Die Änderung ihres offiziellen Geschlechts ist für die Menschenrechte von Trans-menschen von fundamentaler Bedeutung. Stimmt ihr amtliches Geschlecht nicht mit ihrer Geschlechtsidentität und ihrer äusseren Erscheinung überein, riskieren sie jedes Mal, wenn sie in einem Dokument entsprechende Angaben machen oder sich ausweisen müssen, diskriminiert zu werden.

 

Zusatzinformation:

Zur Situation in der Schweiz

Die Situation in der Schweiz war nicht Gegenstand der Untersuchung von Amnesty International. Die Rechtslage ist jedoch vergleichbar mit derjenigen in den untersuchten Ländern: Eine medizinische Diagnose wird für eine Änderung des amtlichen Geschlechts in jedem Fall verlangt, die Sterilisation oder zumindest eine Hormonbehandlung ist fast immer eine Voraussetzung.

Die Zahl der Transmenschen in der Schweiz wird je nach Zählweise auf einige Hundert (Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben) bis zu gegen 40‘000 (Menschen, deren subjektiv empfundene Geschlechtsidentität nicht oder nur teilweise mit dem ihnen bei Geburt zugeordneten Geschlecht übereinstimmt) geschätzt.

Quelle: transgender-network.ch

Der Amnesty-Bericht kann hier als PDF heruntergeladen werden:
Transgender Report all web-1

Siehe auch die Amnesty-Studie «Because of who I am. Homophobia, transphobia and hate crimes in Europe» (2013)